"So schön, aber leider behindert!"

Der Sex von Behinderten im Netz aus Vorurteilen, Unbehagen und Entrüstung

Dürfen Behinderte denn keinen Sex haben und glücklich sein?

Tina war vor fast zehn Jahren als Beifahrerin in einer ausgelassenen Gruppe von einer Studentenfeier unterwegs nachhause. Sie kamen vor der Straße ab, und weil sie nicht angeschnallt war, zerdrückte das Auto ihr rechtes Bein, das über dem Knie amputiert werden musste. Sie erzählt, dass sie das erste Jahr im Rollstuhl oft fürchterlich depressiv über Selbstmord nachgedachte. Sie fühlte sich unerträglich hässlich. Ihr Freund hat sie verlassen und sie hat jede Hoffnung aufgegeben, jemals einen neuen zu bekommen.

Aber ihr neuer Freund hat sie gefunden und sie sind heute schon fünf Jahre zusammen. Es musste viel Zeit vergehen, bevor sie sich überhaupt vor den Spiegel traute. „Natürlich habe ich den Sex vermisst und gebraucht, ich kann mir ein Leben ohne Sex nicht vorstellen, aber wie und wen soll ich das wissen lassen, so dass ich nicht gleich von allen bemitleidet oder erniedrigt werde?“ Man hat sie zwar nicht bemitleidet und erniedrigt, erinnert sich Tina, weil man den Mut dazu nicht hatte, die Mitarbeiter haben jedoch ihrem Freund zugesetzt. „Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn man sich tagtäglich bei der Arbeit äußerst beleidigende Bemerkungen über die Frau anhören muss, mit der man zusammen lebt, wenn man Tag für Tag mit Fragen gequält wird, wie „wie fickt es sich mit einer Einbeinigen“ und Ähnlichen? Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich ihn dafür schätze, dass er vor diesem Gesindel nicht klein beigegeben hat. Er reichte die Kündigung ein und in Kürze sind wir umgezogen.“ Tina hat sich jemanden gewünscht, der mit ihr zusammen ist, weil sie eine Frau und keine Behinderte ist. Die Bedenken waren auch noch da, als sie merkte, dass er der Richtige ist. Das erste Mal war ein Albtraum. „Als er beim Streicheln mit seiner Hand über meinen Stumpf fuhr, schüttelte es mich buchstäblich, ich bekam einen hysterischen Anfall und fing an zu schreien, dass es sowieso keinen Sinn hat, das es zwecklos ist, dass ich es nicht kann. Wir haben drei- oder viermal angefangen und nach der Hälfte des Weges wieder aufgehört, bis ich mich völlig entspannen konnte. Damals habe ich praktisch zum zweiten Mal meine Unschuld verloren.”

Wo liegt eigentlich der Grund, dass Behinderte nur schwer und tabuistisch als sexuelle Wesen angesehen werden? Die Fachwelt hebt zwei Momente hervor, die jeder auf seine eigene Weise die subversive (pornographische?) Ausbeutung bekräftigen. Der erste ist die beschleunigte Amerikanisierung bzw. "Missisierung" der Popkultur, die mit der vorprogrammierten Schönheit im Sattel nach dem Diktat der Kosmetikindustrie ihre ästhetische Kriterien aufzwingt und somit jegliche körperliche Andersartigkeit marginalisiert. Krankheiten, Asymmetrie der Körperproportionen, Behinderungen und Ähnliches müssen unbedingt von der Bildfläche verschwinden, weil sie an Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit des Kultes eines perfekten Körpers erinnern. Der zweite Moment ist der Hang zur Uniformierung der Betrachtungsweise der Sexualität, was das Erbe der steifen patriarchalischen christlichen Moral ist. Wie soll dem Geist der moralischen Mehrheit, der nur die Missionarsstellung kennt und zugesteht, und zudem lediglich für die Zeugung erlaubt, (zwei grundlegende Klischees, denen sich explizite Genres mit ihren "Kontraklischees" erfolgreich widersetzen), begreifen, was sexuelle Varianten sind? Oder anders gesagt, für die Behinderten ist nicht ihre Behinderung das Hauptproblem, sondern die Überzeugung, dass sie sich nicht im Einklang mit den Vorstellungen gesunder Menschen verhalten.

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